Story of my life #17

Heute kommt der Teil, in dem ich das hohe Lied auf meinen lieben Bruder anstimmen muss. Der hat im Gegensatz zu mir eine etwas alternativere Schlagseite im Musikgeschmack, was mir sehr zu gute kam, da mir sonst eine große Anzahl von Perlen nie ins Netz gegangen wären.

Ich nahm damals von MTV gerne den Headbangers Ball auf, wo Vanessa Warwick Rock- und Metalmusicclips präsentierte. Jeden Sonntag um 23 Uhr lief der Videorekorder und nahm dabei auch gerne die letzten Minuten der davor laufenden Sendung „120 Minutes“ auf. Rückwirkend betrachtet hätte ich eigentlich schon viel früher damit anfangen sollen, auch 120 Minutes aufzunehmen, denn die Alternative/Independent Scene war 1993/1994 schon voll von Klassikern, die ich erst später entdecken durfte. Bevor ich das merken durfte, machte mir mein Bruderherz aber zuerst ein Geschenk aus diesem Dunstkreis, dass ich erst später wirklich zu schätzen lernte.

Wir hatten im Wohnzimmer eine Pioneer Stereoanlage stehen (den Uher Equalizer mal rausgenommen), die die alten JBL Lautsprecher meines Vaters befeuerten. Große, klobige Kisten deren Hochtonkalotten schon früh meinen Fingern zum Opfer gefallen waren. Der Klang war aber super und zum ausprobieren von neuer Musik besser geeignet als meine olle Hanseatic-Anlage. Hier hatte ich schon bei sturmfreier Bude mit vielen Metalalben Vollgas gegeben. Jedenfalls drückte mir der Bruder im Herbst `93 eine CD von einer Band in die Hand, die ich vorher noch nirgends gesehen hatte: TOOLs „Undertow“! „Hör mal, könnte dir gefallen!“ Wie er bei meinem damaligen Musikgeschmack darauf kam, dass das was für mich sei…. keine Ahnung! Und ich muss zugeben, dass das was da aus den Boxen quoll nicht direkt in meinem Kopf zündete. Wo war das Metal? Beim vierten Song gab es mal etwas Double Bass, aber alles in allem war das sehr viel anders als die gewohnte Kost, nicht so „straight forward“. Aufsehenerregend war erst mal das verborgene 2. Cover mit der Kuh. Kenner wissen, was ich meine! Glücklicher Weise bannte ich die CD aber trotzdem auf Tape und nahm sie immer mal wieder mit.

Ganz allmählich erschloss sich mir aber jene, für meine Ohren erst mal noch, komplizierte Musik und nicht nur mir. Zeitgleich, ohne, dass wir darüber sprachen, fingen auch Markus und Andreas an diese Gruppe zu hören. Dabei wollte Markus diese erst zurückgeben, weil die wohl kaputt sei. Er hatte die Hidden Track Idee mit den 59 leeren, eine Sekunde dauernden Tracks vor dem letzten Song nicht durchblickt. Außerdem kam ein gewisser Sebastian hinzu, den ich auf einer Party in Coesfeld kennengelernt hatte, der ein Jahr älter war und auf ein anderes Gymnasium (Herriburg?) ging. Er spielte Schlagzeug und, wie sich herausstellte, war er der Sohn des Arztes, der mich auf die Welt holte. Zufälle gibt’s!

Jedenfalls spielte Sebastian Schlagzeug in einer Coesfelder Band und war in erster Linie begeistert von dem Drumkünsten des TOOL – Fellgerbers. Er zeigte mir, und davon wird noch zu reden sein, was krumme Takt sind und wie man die zählt. Davon gab es bei TOOL reichlich, ohne dass dabei das ganze aufhört, catchy zu sein. Wir waren dann alle nach und nach so Feuer und Flamme, dass wir das nächste Konzert besuchen wollten, und das fand in Enschede statt. Am 9. Juni luden mich die drei Coesfelder in Holtwick nach der Arbeit ein. Hier gab es auch einen SB Steiner, an den ich ausgeliehen war. Einer von den Jungs hatte irgendwo gelesen, dass heuer ein TOOL-Konzert stattfinden sollte, Vorband Submarine. Wir also voller Vorfreude über die Grenze gedüst, geparkt und das Atak, die örtliche Konzertlocation, gesucht. Internet gab es noch keins, also fragten wir uns durch. Vor der Halle stehend machten wir erst mal sehr lange Gesichter. Das Atak war geschlossen, keine Ankündigung von TOOL zu sehen. Alles umsonst! Mist!

Wir müssen recht armselig dreingeschaut haben, denn zwei einheimische Mädchen sprachen uns an und fragten frei heraus: „TOOL?“ Worauf wir nicht viel mehr, als ein bedröppeltes „Ja…“ rausbekamen. Da sprachen sie die segensreichen Worte: „Vrijhof, Universiteit!“ Wie bitte? Was geht ab? Nach kurzer Unterhaltung war klar, dass derjenige, der das Konzert in Erfahrung gebracht hatte (ich habe da Andreas in Verdacht ? ) wohl davon ausgegangen war, dass das im Atak sein musste (Wo sonst?), aber wohl genauer hätte lesen müssen! Das Konzert sollte also im Vrijhof der Universität Twente stattfinden. Wir glaubten den Enschedenerinnen. ließen uns den Weg erklären und eilten zum Auto.

Wir spürten die Halle auf und tatsächlich, hier fand das Konzert statt. Wir parkten neben dem Tourbus, kauften Karten und ich mir ein T-Shirt („All Indians / No Chiefs“). Das brachte ich zum Auto und fand die Jungs von TOOL vor dem Bus sitzend. Mehr als ein schüchternes „Hello….“ brachte ich nicht zustande. Zurück in der kleinen Halle stieg dann eines der wohl denkwürdigsten Konzerte meines Lebens. Nach der guten Vorband brannten die Jungs ein ordentliches Feuerwerk ab, dass sowohl von der perfekt gespielten Musik, als auch von der sehr ungewöhnlichen Bühnenperformance des Sängers Maynard James Keenan lebte, der sich windend und zuckend, schleichend, schreiend und flüsternd über die Bühne bewegte. Wir feierten das Geschehen gebührend und ich war ab diesem Konzert endgültig voll-umfänglich angefixt. So abgefahren waren sie danach nur noch 1996, als ich sie in fast der selben Besetzung in der Live Music Hall sah. Mittlerweile sind sie ein multimediales Gesamtkunstwerk auf der Bühne, was aber mit Rock ´n´ Roll nichts mehr zu tun hat. Gerade deshalb freue ich mich wie Bolle auf das Konzert nächstes Jahr in Amsterdam. Nach dem Konzert trafen wir den Drummer noch im Gebüsch, dass wir zum Wasserlassen auserkoren hatten. Er hatte sich dieses aus dem gleichen Grund gesucht. Fertig abgetropft konnte Sebastian nicht anders als ihn nach seinem Drumkit auszufragen. Da wurde dann zwischen den Schlagzeugern etwas gefachsimpelt und denn ging es für Danny zurück in den Tourbus und für uns zurück nach Hause.

Hier ist also die eine Lieblingsband. Gefunden durch meinen Bruder und auf allen Touren besucht, ausgestattet mit begnadeten Künstlern und ohne Ausfall in der Diskographie. Der eine Song, der für mich wohl bis in alle Ewigkeit keine Abnutzungserscheinungen zeigen wird und mit einem grandiosen, verstörenden Stop-Motion-Video in die Geschichte eingegangen ist „Sober“. I am not worthy!

TOOL – Sober