Story of my life #16

Nun gut. Herbst 1993.

Mode war mir lange nicht wirklich wichtig. Irgendwie kam es dazu, dass ich trotzdem auf den Trichter kam, dass eine schwarze Jeans super wäre. Der erste Versuch scheiterte grandios. Ich kaufte mir eine Schwarze Mustang in Münster – eine Karotte. Es ist mir heute gänzlich unverständlich, wie ich zu diesem Fehlkauf verleitet wurde. 1,96 lang, 75 Kilogramm dünn, Karottenjeans! Von dem Spiegelbild in meinem Kopf wende ich mich noch heute schaudernd ab. Ich habe die bestimmt keine fünf Mal getragen. Es musste dringend Ersatz für das Beinkleid des Grauens her. Den entscheidenden Tipp gab mir Andreas. Levis 501. Die passten und sahen an mir passabel aus. Fortan gab es nur noch diese für mich. Zur etwa gleichen Zeit spielte mir Andreas auf einer Kellerparty mal wieder Neuigkeiten aus der Metalwelt vor. Legendär war diese Party vor allem, weil Bernd dort etwa eine Stunde lang bierselig auf einem Stuhl saß. eine volle Flasche Bier in der Hand hielt und immer wieder einnickte, nur um dann jedes Mal, kurz bevor sich das Bier auf den Boden ergoss, passend aufzuwachen, um die Flasche wieder aufzurichten. Ein Schauspiel, das ich mir den Bauch vor lachen haltend ewig ansehen konnte… damals.

Wie gesagt, Neuigkeiten aus der Metalwelt. Passend zum neuen schwarzbehosten und auch schwarz behemdeten Daueroutfit schlug Andreas mir vor, jetzt mal gut zuzuhören. „Das müsste dir gefallen!“ Ja dann, lass laufen!

Heftiger kann der Kometeneinschlag, der die Dinosaurier auslöschte, nicht gewesen sein.

„Forgive her, for she knows not what she does“. Eine abgrundtiefe Stimme sprach diese sakralen Worte und darauf folgte ein gothisches Manifest in drei Teilen. Absolut groß, absolut erhaben und absolut schön. Der Soundtrack für die nächste Zeit hatte mich gefunden. „Bloody Kisses“ hieß das Album von Type O Negative. Diese Art der Musik, immer geprägt von allgegenwärtiger Melancholie, immer wieder ironisch gebrochen durch punkige Einschübe, wieder zurückkehrend zu tottraurigen, Orgel begleiteten Doompassagen, packte mich. Peter Steels Texte schilderten dazu Verzweiflung, Liebe, Hass und Tod in sarkastischen oder prägnanten Worten.

Wie bestellt durfte ich mir, beseelt von dieser Dunkelheit, im Oktober dann auch den ersten robusten Korb nach langer Zeit des Zauderns in die Sammlung der Erfahrungen stellen. Dieses Erlebnis beeindruckte mich derart nachhaltig, dass es jeder sehen musste. Nur noch schwarz gekleidet, gothic Rock hörend und mies gelaunt dreinschauend teilte mein Auftreten jedem meinen Seelenzustand mit. Was für ein Theater!  Was für ein Klischee!

Peter Steele ist 2010 verstorben. R.I.P. Ich muss zugeben, dass ich sein Dasein vermisse. Er hatte was ikonisches und gehörte irgendwie zu meinem Leben dazu. Das erste Album der Brooklyner, das ich erst später kennenlernte, mit seiner bei gehörnten Männern sehr beliebten Textzeile aus „Unsuccessfully Coping with the Natural Beauty of Infidelity“, das dritte Album „October Rust“, vergoldet mit dem besungenen feuchten Männertraum und Alternadisco Hit „My Girlfriends Girlfriend“, die vollkommene Depression von „World Coming Down“, unzählige Highlights verbunden mit zig Anekdoten in meinem Leben der folgenden Jahre wurden von dieser Göttercombo veröffentlicht

Auch die Konzerte waren großartig.  Immerhin war ´94 in der Fabrik das Konzert zusammen mit Tiamat mein erstes Konzert überhaupt und die blauen Flecken aus dem Pit von 2003 in der Live Music Hall in Köln, wo ich Simone vor der pogenden Meute schützte, spüre ich noch heute.

Der erste Track von Bloody Kisses „Christian Woman“ begleitete mich ’93/’94 ständig auf dem Schulweg. Der führte damals die Berkel entlang durch ein kleines wildverwachsenes Naturschutzgebiet. Die neun laut mitgesungenen Minuten beinhalten einen Zwischenteil, in dem Vögel zwitschern. Als ich das das erste mal wahrnahm, blickte ich mich suchend um, konnte in der leeren Winterlandschaft weit und breit keinen Piepmatz entdecken. Ein Hinweis auf die Qualität der Aufnahme, die damals durch das Abzeichen „DDD“ auf der CD vermerkt wurde.

Type O Negative – Christian Woman