Story of my life #39

Einen großen Anteil daran, dass ich die Zivizeit in so guter Erinnerung behalten habe, hatten die Leute, die ich damals kennenlernen durfte, die im weitesten Sinne „zur Burg gehören“. Da wäre zunächst mal der Kaplan zu nennen, der als recht untypischer Pfaffe daherkommt. Wenn das Kirchenpersonal aus mehr Menschen wie ihm bestehen würde, bin ich davon überzeugt, dass sie weniger mit Mitgliederschwund zu kämpfen hätte. Weltoffen, fröhlich. gerne in Feierlaune, großzügig – wir pflegten den Kontakt noch bis lange nach der Zivizeit. Zu guter Letzt durfte er noch vor ein paar Jahren meine kirchliche Hochzeit begleiten. Dann war da natürlich der bunte Haufen der Mitzizis, von denen ¾ zu ordentlicher Feierei zu gebrauchen waren und last but not least das Team der Sozialarbeiter, aus deren Reihen sich enge Freunde rekrutieren sollten.

Ich bin auch deshalb an die Burg gegangen, weil mich das Konzept der Exerzitien (Tage religiöser Orientierung) irgendwie abgeholt hatte. Ich mag zwar ein flapsiger Sarkast sein, aber die notwendige Fragestellung danach, was das für mich und vor allem für mein Umfeld bedeutet, wollte erst mal angestoßen werden und interessierten mich sehr. So taten sich für mich neue Welten in den Gesprächen auf, die nicht ausschließlich dazu da waren, das eigene Schicksal zu bedauern (darin habe ich es insbesondere in Beziehungsfragen zur wahren Meisterschaft gebracht), sondern auch darin mündeten, den eigenen Anteil an allen Situationen und Problemen zu suchen. Das liest sich jetzt vielleicht ein Stück weit verkopft, ist es aber eigentlich gar nicht, weil das das einzige ist, was den gemeinen Menschen wohl von der Restpopulation unseres Planeten grundlegend unterscheidet: die Möglichkeit über sich selbst nachzudenken, eben das Bewusstsein. Ob Tiere diese Möglichkeit haben, kann ich natürlich nicht mit Sicherheit ausschließen, aber ich vermute einmal, dass es sich als Löwe, Koala oder Bisamratte recht gut ohne lebt; wenn man sich auf Instinkt und Erfahrung verlassen kann (oder muss). Hunde- Katzen- und was-weiß-ich-für-Freund werden mir da mit Sicherheit wiedersprechen, aber für das Konzept „Bewusstsein“, wie ich mir das vorstelle und wozu es meiner Meinung nach gut ist, scheint mir in der allgemeinen Wildnis nicht die Zeit zu sein.

Die in einem menschlichen Kopf bohrende Frage nach dem „Warum?“ kann nur sinnhaft beantwortet werden, wenn man alle mitwirkenden Variablen kennt und nur dann kann man auch auf die daran anschließende Frage „Und jetzt?“ eine brauchbare Antwort finden. Anthropologen könnten natürlich einwerfen, dass sich der Mensch bei der Suche nach Problemlösungskonzepten, den Erfindungsreichtum von Tieren zur Beschaffung von Futter per Evolution so weit weiterentwickelt hat, dass sie eigentlich kein zwingendes Problem mehr brauchen, um ein Gedankenkonstrukt zu entwickeln. Wer weiß? Jedenfalls so, wie es vielen Menschen möglich ist, Sachverhalte theoretisch zu verstehen und Theorien zu erdenken, die sich nicht nur aus der reinen Beobachtung ergeben, sondern auch weitere Erkenntnisse als logische Konsequenz postulieren (die Relativitätstheorie ist dafür ein prominentes Beispiel), so kann er auch darüber nachdenken, warum sich die Partnersuch schwierig gestaltet, oder warum man immer wieder mit den Eltern in Streit gerät. Die antworten darauf sind selten trivial („ich seh aus wie Quasimodo“ und „ich habe Tourette“ kommen nur selten in Frage ? ) und führen, den richtigen Gegenüber vorausgesetzt, zu lebhaften Gesprächen. Eben solche führte ich auf der Burg zum ersten mal.
Wie bekomme ich jetzt den Bogen?

Mein Zimmer im Turm hatte seine Tür zum Flur, in dem auch das Team die Aufenthalts- und Besprechungsräume hat. So lief man sich eigentlich ständig über den Weg und lernte schnell das Temperament der einzelnen Protagonisten kennen, wenn man mal wieder die Musik etwas aufdrehte. Mit diejenigen „Teamern“, die das mit Humor nahmen, kamen ich auch meist prima aus und feierte mit denen dann abends im Burgkeller. Durch die Zeit, die ich mit denen verbrachte, bekamen die natürlich auch mit wie ich tickte und dass meine Leidenschaft in erster Linie der Musik galt. Wie gesagt hatte mich die vorhandene Barschaft zu einem Sammler von Tonträgern werden lassen und es kam bald dazu, dass ich mir Gedanken machte, welche CD denn nun die 100ste sein sollte. Ein Klassiker, so viel stand schon mal fest, aber welcher? Darüber sinnierte ich lange mit zwei Teamern, die just zu der Zeit auf der Burg waren. Die beiden kamen mir dann flugs zuvor und überreichten mir am Tag darauf ein Paket das offensichtlich einen Tonträger enthielt. Mit einem Grinsen und dem Hinweis „Lieber Andre, wir wollen die die Nummer 100 überreichen!“ nahm man mir die Entscheidung ab und streckte mir also das Präsent entgegen. Ich öffnete es und wusste im ersten Moment nicht wirklich, was ich sagen sollte. „Oper Highlights Opera“ war zu lesen und die Titelliste enthielt so klangvolle Titel, wie Kurt Weills „Der Zar lässt sich photographieren – Einleitung“. Voll meine Baustelle. Mit Klassiker meinte ich eher Santana oder die Beatles …. Nach Fassung ringend, brach erst ich und dann die Schenkenden in prustendes Gelächter aus. Ein gelungener Gag und die CD halte ich in Ehren.

Als Feier-Highlight und um den Bezug zum Song herzustellen soll hier „der Slibowitz-Abend“ genannt werden. Ein Teamer mit kroatischen Wurzeln brachte aus eben jener Heimat einen 5 Literkanister (einer, in dem sich mal destilliertes Wasser zum Bügeln befunden hatte) selbstgebrannten Pflaumenschnaps inklusive einem wohl nicht zu vernachlässigendem Methylanteil mit. Das Zeug taugte höchstens zum Kloschüssel desinfizieren, aber so wie das nun mal ist, trinkt sich der dritte nicht mehr ganz so kopfschüttelnd wie die ersten beiden und wir endeten damit, dass wir den 95er Hit der Fanta 4 mit eben diesen Rachenputzer im Hals mitgurgelten (!).

Rap stand ich lange Zeit, ich sag mal, uninteressiert gegenüber. Bis auf kleine Ausreißer wie „Tone Loc“ mit der Funky Cold Medina oder dem grandiosen Soundtrack zu „Judgement Night“ mit den ganzen Crossover Granaten der Metal / Rap Kombos, wie „Slayer + Ice T“ oder „Faith No More + Boo Yaa Tribe“ fand Rap / HipHop in meinem Leben nicht statt. Das änderte sich mit den Fantastischen 4, deren Hit „Die Da“ ich zwar kannte, aber nicht abfeierte, als er rauf und runter bei Viva als der neu Shice lief. Eher die weniger gehypten Songs, wie „Es wird Regen geben“ oder „Die 4, Dimension“ drangen durch den Stromgitarrenwall durch. Die Texte insbesondere von Thomas D beschäftigen sich mit mehr als nur Party und THC und mit ihrem Clubhit (B9) „Krieger“ haben sie meiner Meinung nach ein Stück Musik um die philosophischen Texte drapiert, wie es wohl nur die Fantas in Hochform so unvergleichlich hinbekommen. Ich mag sie bis heute und auf allen ihren Platten finden sich coole Songs. Im Herbst 1995 kam man aber um „Sie ist weg“ nicht drum rum.

Die Fantastischen Vier – Sie ist weg