Story of my life #44

Eine Entscheidung zu fällen, die großen Einfluss auf das weitere Leben hat und das Ganze in einer Situation, in der man recht orientierungslos die Tage abreißt, fiel mir letztendlich nicht schwer und so gibt sie zumindest eine Richtung vor, in die man die unmittelbare Zukunft steuert. Bevor es soweit war, galt es aber noch ein paar Hürden zu nehmen. Zunächst musste ich mich mit den notwendigen Unterlagen versorgen. Die Einschreibungsunterlagen und die Studienbedingungen waren schnell per Post(!) geordert. Außerdem galt es, da ich zum Studium an der RWTH ein Baustellen-Praktikum benötigen würde, um die Voraussetzungen für das Bauing-Studium zu haben, eine Stelle zu finden. Und eine Bleibe für mich und meine paar Habseligkeiten musste ebenfalls noch organisiert werden.

Im Gegensatz zu heute existieren aus der Zeit damals nicht viele Bilder. Handys gab es schon, aber ohne Kamera und einen Fotoapparat mit Film trug ich höchstens im Urlaub mit mir rum. Erstaunlicherweise gibt es aus heutiger Sicht so fast keinen Beweis für meine langen Haare zu der Zeit. Hatte ich noch vor 2 Jahren eine Schur hinter mich gebracht (9 mm) ließ ich Flusen danach einfach wachsen. In der Abizeitung ist ein Bild von mir mit Prinz Eisenherz Länge zu sehen. Ein Jahr später war das Ganze dann auf gute Schulterlänge angewachsen und wurde in einem recht dünnen Zopf zusammengebunden. Ein ebenfalls dünner Haarrahmen zierte den Mund. Oh Gott! Wenn ich mich heute auf Fotos von damals sehe muss ich schon ziemlich schmunzeln. Eine Mischung aus Matthias Opdenhövel und Professor Karl-Friedrich Boerne, garniert mit langen Haaren. Das gewählte Äußere korrespondierte irgendwie nicht mit dem Gesamterscheinungsbild…. Levellers-Pullover und beige-gelbe Jeans zerstörten den letzten Anflug von Coolness. Aber passte irgendwie doch…

Im Frühjahr/Frühsommer stehen in Billerbeck jedes Jahr, wie in vielen anderen Städten, die Schützenfeste an; im weitesten Sinne Volksfeste, die von vielen Eingeborenen heiß ersehnt und ekstatisch gefeiert werden, für mich aber erst seit einer Reportage von Harald Lesch im ZDF einen nachvollziehbaren Sinn ergeben. Zur Bildung einer Gemeinschaft gehört wohl das Schaffen von Traditionen und Ritualen, die eine heterogene Gruppe Menschen verbindet. Ich erinnere mich daran, wie ich als kleines Kind die „Kinderbelustigung“ am Sonntagnachmittag gerne der Süßigkeiten wegen mitgenommen habe und im Anschluss im Fernsehen Captain Future gucken durfte (mit dem zeitlos großartigen Soundtrack von Christian Bruhn!!!!). Danach verlor diese Veranstaltung nach und nach an Reiz bis ich dann Schützenfeste, Karneval etc. in meiner kleinen Stadt eher mir Argwohn oder Belustigung als mit Hingabe und Begeisterung betrachtete. Da ich eben diese Traditionen nicht als Teil meines Daseins begriff, fiel auch die Bindung zur Domstadt ohne Bischoff eher lose aus. Ganz im Gegensatz zu meiner Ma, die als Billerbecker Urgestein aus einer recht stark vernetzten alten Familie dieses Dorfes mit Stadtrechten entstammte. 1996 jährte sich für sie zum 25ten mal ihr kurzer Auftritt als Königin, und zwar der als Schützenkönigin der Kolpingfamilie. Das galt es zu feiern und die Familie war „an den Throne“ eingeladen. Das galt auch für meine im Abgang befindliche Freundin, die der Veranstaltung stante pede eine Absage erteilte und mir auch noch die letzte Lust auf das Großereignis nahm. Meiner Ma zur Liebe sagte ich ein Erscheinen auf dem Fest trotzdem zu.

Von der Feier selbst gibt es nicht viel zu berichten außer, dass ich mir reichlich fehl am Platze vorkam zwischen den ganzen gut gelaunten Bier trinkenden Schunklern und ich – schlecht gelaunt- einfach nur weg wollte. Für die Polonäse und den Ehrentanz brachte ich als lieber Sohn noch die Energie auf, aber als der Pflichtteil des Abends zu Ende war, war auch meine Geduld an der selben. Die Kür, das beherzte Alkohol geschwängerte ritualisierte Ringelrein ertrug ich damals nicht länger und ließ die „Billerbeck—Verbundenen“ allein und belastete die nicht weiter mit meiner finsteren Laune. Mein Abschied von dem Fest kann ich heute auch als meinen Abschied von Billerbeck sehen. Dieser Moment ist der Letzte, den ich für eine lange Zeit mit einem Leben hier verbinde; und eben dieser Moment ist auf Film festgehalten. Das Video, dass die Schützenbruderschaft der Kolpingfamilie anlässlich des Schützenfestes 1996 drehen ließ, enthält in einer kurzen Sequenz eben genau diese Sequenz, in der ich (fort-) gehe.

Auch wenn mir zu der Szene partout keine direkt korrelierende Musik außer „Preussens Gloria“ einfallen will, so passt doch die Begleitmusik zum Abschied aus Gemen, die ich mit einem Bildmalnachmittag in der Burg (ich half dabei ein Bild für den neuen geistlichen Leiter zu malen, welches ich später für mich selbst reproduzieren sollte „Mann bemalt Wand“) verbinde, zu diesem Szenario perfekt. Zum einen ist das „Weak“ von Skunk Anansie, dessen Refrain man im Selbstmitleid badend, so wunderbar mitgröhlen kann und zum anderen einem Stück portugiesischen Hartgesottenem, dass sich durchaus auf Traditionen und Rituale ummünzen lässt:

Moonspell – Opium