Story of my life #48

Ein bemerkenswertes zweites Mal fällt mir zu einem top wichtigen Ereignis in meinem Leben keine adäquat verknüpfte Musik ein. Es liegt wahrscheinlich daran, dass die ersten Tage in Aachen so ereignisreich waren, dass da keine Musik als Begleitung stattfand, außer die Musik, die auf den Partys gespielt wurde, und die war höchstwahrscheinlich eine mittelschwere Katastrophe nach meinem Geschmack.
Der Montag startete mit der Einführungsveranstalltung für Erstsemester Bauingenieurwesen in einem Hörsaal irgendwo in Aachen, wo ich kein zweites Mal sein sollte. Nach der Vorstellung des Lehrstuhls und Informationen über den Beginn des Studiums wurden wir weitergeschickt zum Zentrum des Geschehens, dem Bauingenieurgebäude an der Mies-van-der-Rohe-Straße (ein Architekt als Namensgeber der Straße einer der renommiertesten Lehrstühle für Bauingenieurwesen —- Blasphemie!).

Ich bekam direkt einen Eindruck davon, wovon das Leben in Aachen geprägt sein würde: vom Laufen. die RWTH stellte den Studenten zu dem Zeitpunkt kein Semesterticket für den ÖPNV zur Verfügung und so ging es hauptsächlich auf Schusters Rappen voran. Auf Fahrräder verzichteten viele ebenso, da Aachens Stadtgebiet eine ziemlich buckelige Angelegenheit ist. Hätte ich damals schon mein Fittnessarmband gehabt, wären die Tagesziele für „Schritte“ in keinem Fall ein Problem gewesen. Sehr viel Zeit zum Musikhören also! Später ergeben sich hierdurch sehr starke Erinnerungen aber eben nicht zu Beginn des Studiums.

Neben Sebastian war im Jahr zuvor auch eine Stufenkameradin von mir als Bauingenieurin angefangen (ohne Wehrpflicht war Frau da im Vorteil), die ihrem Bruder hierher gefolgt war. Ein glücklicher Zufall, da sich so Mitfahrgelegenheiten ergaben. Sebastian und sie waren beide als Tutor tätig und erwarteten die Meute der „Ersties“ bereits in einem der beiden großen Hörsäle (wirklich dort? Ich brauche Hilfe…). Tutoren sollen die Neulinge insbesondere im ersten Jahr begleiten und beim Einstieg ins Studium helfen. Außerdem sollten sich durch die Bildung von Tutorengruppen erste Kontakte ergeben. Dass die folgende Woche in erster Linie vom Feiern und nicht vom Studieren geprägt werden sollte, war allen längst bewusst.

Nachdem sich die Tutoren alle vorgestellt hatten, suchte sich jeder Frischling ein Tutorenteam (es waren immer zwei) raus, zu der er oder sie gehören wollte. Dabei war die Anzahl der Mitglieder je Gruppe begrenzt, so dass jede Gruppe etwa 10 Leute umfasste. Ich wählte ein Team aus mir sympathisch erscheinenden zwei Typen aus, von dem einer auch Andre hieß und der zweite durch schelmisches Lachen glänzte. Mit in die Gruppe kamen ein Fechter, eine Hockeyspielerin, ein Gärtner, ein Boxer, eine Bauzeichnerin, ein Radfahrer und bestimmt noch jemand, den ich vergessen habe. Aus dieser Truppe ist immerhin einer bis heute geblieben, den ich regelmäßig (letztes Wochenende yeah!) sehe.

Als wir die Kennenlernrunde hinter uns hatten und einige Infos über die kommenden Tage und das folgende Studium mitgeteilt waren, wurden wir in den späten Nachmittag entlassen und für den Abend zu einer Party in der Motorbar eingeladen. Da ich mich noch nicht auskannte in Aachen musste ich mir den Ort auf dem Stadtplan markieren, um ihn dann abends zu finden (wir erinnern uns – 1996, navigiert wurde nur auf See!). Also erst mal ab ins neue Zuhause und den ganzen eingesammelten Krempel loswerden.

Die Motorbar ist eine Kellerbar in einem der Studentenwohnheime Aachens, die es scheinbar immer noch gibt, und die sich, soweit die Google Bilder aktuell sind, kein bisschen verändert hat in den letzten 24 (!) Jahren. Sie ist im Keller eines der drei Hochhauswohnheime an der Rütscher Straße untergebracht und kann für private Partys gemietet werden. Unsere Tutorengruppe war hier mit mehreren anderen zum ersten geselligen Zusammensein geladen. Hätte ich damals schon googlemaps gehabt, wäre ich wohl nicht gelaufen, denn die Entfernung Kapuzinergraben – Motorbar bedeuten 29 min Fußmarsch, aber, wie gesagt, ich war neu in der Stadt und war bestimmt mit ordentlicher Musik ausgestattet, an die ich mich partout nicht mehr erinnern kann. Es wird aber was melancholisch Hartes gewesen sein, denn so richtig ausgelassen spaßig fand ich den Abend wohl nicht. Ich hing alten Gedanken nach, fand auf der Feier kein wirklich erbauliches Gespräch und spielte halt ein wenig Smalltalkpingpong mit allen, die sich anboten. Damit war ich dann irgendwann durch und so kam es, dass zu vorgerückter Stunde meine zu Beginn des Abends für 10 Mark erstandene Verzehrkarte erst für 4 Mark Stempel besaß. Unwillig, diese vom Bafög finanzierte Investition verfallen zu lassen, mimte ich die Barfly und ließ mir Tequila reichen. 3 Stück würde ich für die restlichen 6 Mark bekommen. Passt. Nun ließ aber der Thekenmann die halb volle Flasche vor mir stehen, vielleicht aus Unachtsamkeit, oder vielleicht, um mir Miseprim einen Gefallen zu tun. Jedenfalls bekam ich für meine 6 Mark den gefühlten Gegenwert von 30, wie ich feststellen musste, als ich an die frische Luft kam. Bäääm! So, jetzt nach Hause. Nur wo lang? Ich war auf dem Hinweg der Karte gefolgt, die ich jetzt nicht wiederfand (oder nicht mehr lesen konnte). Eines war mir vom Hinweg in Erinnerung geblieben. Es ging nur bergauf. Zurück müsste es dann zumindest ausschließlich bergab gehen. So folgte ich dem inneren Altimeter die Rütscher Straße runter, am Ponttor vorbei die Pontstraße runter, bis ich dann irgendwie auf dem Marktplatz ankam, von wo aus ich einer Intuition folgend, die Krämergasse runterlief und tatsächlich das Theater fand. Hurra! Bett ich komme! Den ersten Tag als Student geschafft. Es sollten noch einige folgen 

Ich pflanze hier jetzt eine Band ein, die mich seit meinen Badmintontagen begleitet, die aber bisher bei zwei-drei Ereignissen, zu denen ich hier Musik nennen konnte, nur die zweite Geige spielte und deshalb unter den Tisch gefallen ist. Deshalb an dieser Stelle der Schwanengesang einer Band, die zu innovativ für ihre Zeit war und so dem großen Publikum verwehrt blieb. Mich würde nicht wundern, wenn diese Platte, auf Tape gebannt, mich auch an jenem Abend begleitete.

Depressive Age – Neptune Roars